Gestern feierte ein recht bekannter finnischer Mobilfunkanbieter die “Night of the Proms”. Doch einige Berliner Exil-Iraner hatten was dagegen. Rund 100 Demonstranten haben am Sonntag in Berlin vor der Anschütz-Arena am Berliner Ostbahnhof gegen den Veranstalter der “Feierlichkeiten” – Nokia. Was genau, machten sie den Konzert-Teilnehmern während der Pause sehr deutlich: “Wir sind hier. Wir sind laut – trotz Datenklau!”. Viele der Besucher guckten von der Balustrade und fragten sich, warum “die da unten” nur so laut skandierten? Der Protest richtete sich gegen das Unternehmen, weil dieses zusammen mit Siemens dem iranischen Regime umfangreiche Spionagesoftware geliefert hat. Damit ist im Iran eine komplette Überwachung des Email-, Telefon-, wie auch Handyverkehrs möglich.
Zahlreiche Iraner sind durch diese Technik dann Opfer des Regime geworden. Sie wurden verhaftet, gefoltert, manche sogar ermordet. Deswegen versammelten sich viele gerade junge Iraner vor der Arena (dummerweise hält ein anderes Mobilfunkunternehmen deren Namensrechte), um ihrer Wut offen zu artikulieren. Das führte zu umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen rund um die Halle und zu langen Schlangen vor den Eingängen. Nokia wollte im Hallenbereich Proteste unterbinden. Das Sicherheitspersonal wurde verdoppelt. Der separate VIP-Eingang wurde extra durch Hundeführer gesichert. Doch wie immer in Berlin, wenn Iraner und Deutsche demonstrieren, blieb es friedlich. Einige Berliner Rundfunksender hatten extra ihre Verkehrsfunknachrichten geändert, um auf die Demonstration gegen Nokia hinzuweisen.
Interessanter Weise las ich dieser Tage im neuesten amnesty-Journal (kleine Werbe-Unterbrechung: Neuerdings an Kiosken im freien Handel erhältlich!), dass Millionen junger Iraner über virtuelle Netzwerke kommunizieren, Blogs schreiben und kräftig twittern – und dennoch im “Netz gefangen sind”. Golrokh Esmaili beschreibt sehr präzise, wie massiv das iranische Regime versucht, die Kontrolle über die virtuellen Welten zu behalten und Online-Dissidenten zu verfolgen. Denn ohne das Internet und die Möglichkeiten des dezentralen Informationsnetzes Web2.0 hätten sich die vielen Iraner, die gegen die massiven Wahlfälschungen des Regimes demonstrierten, nicht koordinieren können, sonst wäre Nedas Tod nur einer von vielen gewesen, der von der breiten Weltöffentlichkeit übersehen worden wäre.
Was ich allerdings erschreckend finde, dass bei vielen Produkten wie beispielsweise Handys das Herkunftsland des Anbieters bei den Konsumenten kaum eine Rolle spielt – wer fragt dann schon nach den Produktionsbedingungen und wie bei Nokia nach diversen Geschäftspraktiken? Wer nun mehr wissen will über die Iran-Bündnisse in verschiedenen deutschen Städten, ist bei Iran aktuell am besten aufgehoben, hier werden immer die aktuellesten Meldungen gebracht.
Und noch was am Rande: seit langem laufen innerhalb der Kommunikationswissenschaft intensive Diskussionen darüber, wie wirkungskräftig Web2.0 ist. Einen wertvollen Überblick zur Nutzung von Web2.0 im Nahen Osten gibt der Sammelband „Von Chatraum bis Cyberjihad“, herausgegeben von Matthias Brückner und Johanna Pink, aber auch Kristin Helbergs Artikel “Zwischentöne unerwünscht” (erschienen auf qantara) helfen weiter. Und wo kann man über die vielfältigen Möglichkeiten des Internets am besten schreiben, wenn nicht im Blog? Zum Glück brauchen wir deutschen Blogger keine staatlichen Repressalien zu fürchten, wenn Nokia & Co. Überwachungstechnologie verkauft. Auch wenn wir die neuesten Gesetze mit Argusaugen verfolgen….